Muskelversagen: Mythos oder Notwendigkeit?

Muskelversagen

Trainieren bis zum Muskelversagen – Bild: © Kzenon – Fotolia.com

Ziele im Krafttraining sind die Steigerung der individuellen Muskelkraft sowie der Aufbau der Muskelmasse. Während das Bodybuilding zahlreiche unterschiedliche Trainingsmethoden und Fitnessgeräte bereitstellt, um diese Ziele zu erreichen, steht ein weiterer Aspekt in Raum. Bis an welche Leistungsgrenze, sowie mit welchen Methoden ist, es gesund und notwendig zu trainieren, um diese Ziele effektiv, dauerhaft und risikolos zu erreichen? Im Mittelpunkt dieser Frage steht hier die Effektivität und Notwendigkeit vom Training bis zum Muskelversagen.

Die Bedeutung des Trainings bis zum Muskelversagen

Muskelversagen bedeutet, die beanspruchte Muskulatur bricht aufgrund von Überforderung in ihrer Leistungsfähigkeit ein und ist nicht mehr imstande ein bestimmtes Gewicht zu heben, zu halten oder zu bewegen. Im Kraftsport, als Bestandteil vom Bodybuilding, ist die Annahme, dass durch die höchstmögliche Beanspruchung der Muskeln ein größtmöglicher Muskelaufbau erzielt wird, weit verbreitet. Das Muskelversagen stellt dabei die Grenze der maximalen Leistungskraft der Muskulatur dar. Die Muskulatur ist nicht mehr in der Lage den Widerstand eines bestimmten Gewichtes zu überwinden. Der Trainierende kann seine Trag- und Bewegungsfähigkeit über das Gewicht nicht mehr kontrollieren. Die Annahme, diese Trainingsmethode führt zu einem Muskelaufbau, gründet auf der Reaktion des Körpers. Während diese Annahme seit Beginn des Krafttrainings vorherrscht, ist sie jedoch nach aktuellen Untersuchungsergebnissen der Sportmedizin nicht allgemeingültig und differenziert zu betrachten.

Das Trainieren bis zum Muskelversagen als Extrem ist dauerhaft nicht effektiv, mit Risiken behaftet, kann zu schweren Folgen wie Muskelfaserrissen, Entzündungen und schweren Verletzungen führen und ist für Breitensportler nicht geeignet. Diese Trainingsmethode kann jedoch sinnvoll und effektiv in ein Trainingsprogramm integriert werden mit dem Ziel die Muskulatur zeitweise intensiv zu trainieren, wobei dies professionell und von fortgeschrittenen Kraftsportlern ausgeübt werden sollte. Wichtig ist es dabei, die verschiedenen Merkmale des Trainings bis zum Muskelversagen zu berücksichtigen und die Reaktion des Körpers zu verstehen.

Physiologische Hintergründe des Muskelaufbaus

Der menschliche Organismus ist darauf gepolt, sich den verschiedensten Beanspruchungen anzupassen. Darauf zielt auch das Krafttraining ab. Die Anpassung beginnt über das zentrale Nervensystem, das die Koordination zwischen den Muskeln (intermuskulär) und der Muskelfasern im Muskel (intramuskulär) steuert. Darauf folgt die Anpassung des Herz-Kreislaufsystems, das die Muskeln während und nach der Belastung mit Blut und Nährstoffen versorgt. Dies bewirkt eine Veränderung des Stoffwechsels, der mehr Reservekapazitäten aufbaut, um die Muskulatur auch bei erhöhtem Verbrauch zu versorgen. Die Anpassung der Muskeln selbst erfolgt nun. Dazu gehört, dass sich die Anzahl der Mitochondrien – die Energiekraftwerke der Zellen – in den Muskelzellen erhöht, je stärker die Belastung im Krafttraining ist. Mitochondrien befinden sich mit hoher Anzahl vor allem in Körperzellen mit hohem Energieverbrauch wie Muskeln. Sie fungieren unter anderem als Produzent des Energiemoleküls ATP (Adenosintriphosphat) und liefern in diesem Fall den Muskelzellen, die Energie, die sie benötigen.

Verschiedene Typen von Muskelfasern, die für unterschiedliche Belastungsarten wie Ausdauer, Kraftausdauer und Schnellkraft existieren, wandeln sich je nach Länge der Beanspruchung um. Im Endeffekt bewirkt das Bodybuilding die Erhöhung der maximalen Kraft und die Vergrößerung der Muskeln durch die Verdickung der Muskelfasern im Muskelquerschnitt (Muskelhypertrophie). Mit der Anpassung der Muskeln werden auch andere Bestandteile wie Sehnen und Gelenke des Körpers beeinflusst. Deshalb ist es wichtig, dauerhaft auf ein korrekt angewandtes Krafttraining zu achten.

Superkompensation und die verschiedenen Arten des Muskelversagens

Das Krafttraining zum Muskelaufbau ruft eine bestimmte Reaktion des Körpers hervor: Durch die Überbelastung im Training werden Energiereserven aufgebraucht und es entsteht für den Körper ein Trainingsreiz. Nach dem Training stellt der Organismus in der Ruhe- und Regenerationsphase die überstrapazierten Energiespeicher und Strukturen in den Muskeln wieder her. Zusätzlich erhöht er zur Vorsorge die Leistungsfähigkeit der Muskeln (Superkompensation/Hyperkompensation) über das gewohnte Maß hinaus, damit der Körper den gesteigerten Beanspruchungen gewachsen ist. Allerdings nur für einen bestimmten Zeitraum. Werden in diesem Zeitraum der angestiegenen Leistungsfähigkeit wiederum neue Trainingsreize durch Überbelastung gesetzt, reagiert der Körper zunächst mit einer Degenerationsphase der Muskelkraft, dann mit einer Regenerationsphase und dann wieder mit einer Superkompensationsphase. Durch diesen Prozess kann die Kraft der Muskeln progressiv gesteigert werden. Mit dem ansteigenden Trainingsniveau werden immer größere Trainingsreize wie häufiges Muskelversagen gesetzt, die über die natürliche Veranlagung des individuellen Organismus hinausgehen können. Deshalb ist dieser Vorgang mit Vorsicht zu behandeln, da er auf individuelle Grenzen stößt. Bei einem kontrollierten und korrekten Krafttraining bis zum Muskelversagen allerdings entsteht ein Wachstumsreiz der Muskelzellen, wodurch eine sarkoplasmatische Hypertrophie erreicht werden kann.

Das Muskelversagen beim Krafttraining ist jedoch zu differenzieren. Es wird zwischen den drei Arten konzentrisches Muskelversagen, isometrisches Muskelversagen und exzentrisches Muskelversagen unterschieden. Konzentrisch versagen die Muskeln, wenn das Gewicht nicht mehr nach oben bewegt werden kann. Isometrisch bezeichnet den körperlichen Zustand, in dem das Gewicht nicht mehr statisch gehalten werden kann. Ein exzentrisches Muskelversagen liegt vor, wenn durch Kraftlosigkeit, der Athlet nicht mehr in der Lage ist, das Gewicht kontrolliert herunter zu lassen.

Trainingstheorie

Die Art und Weise wie das Training bis zum Muskelversagen gehandhabt wird, entscheidet über den Nutzen dieser Trainingsmethode. Es kommt auch darauf an, ob sich der Athlet im Anfängerstadium oder Fortgeschrittenenstadium befindet. Isolationsübungen, bei denen nur einzelne Muskeln beansprucht werden und bis zum Muskelversagen führen, sind für Anfänger nicht geeignet. Nicht alle Übungen im Kraftsport beziehungsweise Bodybuilding dürfen bis zum Muskelversagen ausgeführt werden. Es ist zu empfehlen nach einem Trainingsplan zu trainieren, der Übungen beziehungsweise Techniken bis zum Muskelversagen erlaubt und diese gezielt sowie korrekt integriert. Auch die Trainingshäufigkeit ist ausschlaggebend über den Erfolg. Muskeln werden in der Ruhephase aufgebaut. Im Fall von Muskelversagen sollte bei größerem Umfang eine Pause von drei bis vier Tagen eingelegt werden.

Während Anfänger einen Trainingsplan für den ganzen Körper aufstellen sollten, der zwei bis dreimal die Woche zu absolvieren ist, bietet es sich im Split-Training bei Fortgeschrittenen an, vier bis fünfmal die Woche zu trainieren. Profis absolvieren auch häufig ein High Intensity Training (HIT), bei der die Trainingshäufigkeit reduziert und die Intensität angehoben wird. Die Intensität vom Krafttraining spielt eine entscheidende Rolle, steht aber in der Rangfolge nach der Trainingshäufigkeit, der Trainingsdauer an dritter Stelle. Wer sich intensiv im Training belastet, muss sich auch entsprechend erholen. Erfolgt keine ausreichende Regeneration, kommt es häufig vor, dass der Körper eine höhere Leistungsfähigkeit blockiert, um sich zu schützen. Dieser Effekt wird als Übertraining bezeichnet.

Tipps zum Muskelaufbau und Umgang mit Muskelversagen

Für den Kraft- und Muskelaufbau ist ein Training, das bis zum Versagen der Muskeln führt nicht notwendig. Zu empfehlen ist ein kontinuierliches aufbauendes Training, das auf steigernde Wiederholungen bis zum Wiederholungsmaximum sowie auf die Steigerung der Gewichte setzt. Je nachdem in welcher gesundheitlichen Ausgangsposition oder Trainingsstadium sich ein Athlet befindet, braucht es Zeit, bis ein Trainingsziel erreicht ist. Mit dem Training und der Zeit steigern sich die Intensität und die Stärke der Muskeln automatisch. Der Körper darf auf keinen Fall wie durch ein Übertraining überfordert werden und auch ein Training bis zum Extrem darf keine Schäden verursachen. Wird auf Muskelversagen trainiert, ist auf ausgedehnte Erholungsphasen zu achten. Dabei sollten immer auch der ganze Körper und seine Funktionen im Auge behalten werden. Dem Körper sollte Zeit zur Anpassung und zum Aufbau gegeben werden. Die Muskeln sollten langsam wachsen.

Mit diesen Infos und Tipps sollte es nun möglich sein, den Aspekt des Muskelversagens sinnvoll in den persönlichen Trainingsplan integrieren zu können. Viel Spaß beim Training!