Kraft und Ausdauer in derselben Trainingseinheit: Was kommt zuerst?

Krafttraining Ausdauertraining

Kraft oder Ausdauer zuerst trainieren? – Bild: © Sergejs Rahunoks – Fotolia.com

Zu einem effektiven Fitnesstraining mit dem Ziel der Verbesserung des allgemeinen Leistungsvermögens und der Körperdefinition gehören sowohl regelmäßiges Kraft- als auch Ausdauertraining. Trotz dieser Empfehlungen von globalen Gesundheitsorganisationen und Fitnessmagazinen zeigen wissenschaftliche Studien dass es physiologisch nur bedingt möglich ist gleichzeitig sowohl das Herzkreislaufsystem zu trainieren als auch neuromuskuläre Anpassungen zu erzielen. Hier erhältst Du nun endlich eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf die so oft gestellte Frage von Kraftsportlern & Bodybuildern: „Soll ich Kraft oder Ausdauer zuerst trainieren?“.

„Überschneidungseffekt“ als wissenschaftliche Erklärung für eingeschränkte Trainingsanpassungen

Bereits 1980 wurde dieses Phänomen (engl.: „interference effect“) von dem amerikanischen Wissenschaftler Robert Hickson das erste Mal wissenschaftlich untersucht, aber auch bis heute fehlen fundierte Erklärungen dafür. Fest steht jedoch, dass kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining, durchgeführt in großen Umfängen von mehr als 5-6 Einheiten pro Woche, besonders zu Einschränkungen in der Maximal- und Explosivkraftentwicklung führt und das Muskelwachstum hemmt. Die Ausdauerfähigkeit, auf der anderen Seite, scheint von dem „Überschneidungseffekt“ nicht betroffen zu sein. Das zumindest zeigt eine Vielzahl an wissenschaftlichen Studien, durchgeführt vor allem im letzten Jahrzehnt. Während sich die meisten dieser Studien auf die chronische Unvereinbarkeit von Kraft- und Ausdauertraining beschränken, gibt es bis heute nur relativ wenig wissenschaftliche Informationen über die akuten Effekte von Ausdauertraining auf die Kraftleistungsfähigkeit und vice versa.

Beeinflusst die Trainingsreihenfolge die optimale Trainingsanpassung?

Offensichtlich erscheint, dass sich die Ermüdung nach einem ausgiebigen Cardioworkout negativ auf die Technik und Kraftleistungsfähigkeit, einem direkt im Anschluss durchgeführten Muskeltraining  auswirkt. Andersrum stellt sich die Frage, ob es mit müden Muskeln noch Sinn macht aerobes oder gar anaerobes Ausdauertraining durchzuführen und man damit zum einen die Erholungsphase verlängert und zum anderen  möglicherweise eine Art Übertraining provoziert?

Neue Studien zeigen längere Erholungszeiten nach Ausdauer-vor-Krafttraining aber keine Unterschiede in der Langzeit-Trainingsanpassung

Zwei Studien aus Finnland, durchgeführt am Department für Sportbiologie an der Universität von Jyväskylä, haben jetzt genau diese Fragen untersucht. Dabei wurden männliche Probanden zwischen 18 und 40 Jahren entweder einer „Krafttraining zuerst“- oder „Ausdauertraining zuerst“-Gruppe zugeordnet und deren biologische Anpassungen über einen Trainingszeitraum von 6 Monaten verfolgt. Interessant dabei war, dass es am Anfang des Trainings deutliche Unterschiede in der Erholungszeit zwischen den beiden Trainingsarten gab, diese sich jedoch nicht in der Ausprägung von Kraft- und Ausdauerleistungsfähigkeit sowie dem Muskelwachstum wieder gespiegelt haben. Die Ergebnisse zeigten, dass wenn Ausdauer vor dem Krafttraining trainiert wurde, Testosteronkonzentrationen im Blut bis zu zwei Tage reduziert waren, gleichwohl das nicht der Fall war, wenn das Krafttraining an erster Stelle stand. Da sich niedrigere Testosteronkonzentrationen negativ auf die Kraftentwicklung und den Muskelzuwachs auswirken können, erscheint es anhand dieser Ergebnisse optimaler, das Ausdauertraining nach dem Krafttraining durchzuführen. Überraschend war jedoch, dass beide Trainingsgruppen nach 12 und 24 Wochen Ihre Kraft- und Ausdauerleistungsfähigkeit gleich gut entwickelten und es auch keine Unterschiede hinsichtlich der Muskelmasse gab.

Trainingsumfang und Frequenz beeinflussen die Wahl der Trainingsreihenfolge

Wichtig ist, dass die Trainingsfrequenz in diesen Studien mit 2-3 kombinierten Kraft- und Ausdauereinheiten (je 90-120 Minuten) pro Woche relativ gering war und die reduzierten Testosteronkonzentrationen in der „Kraft zuerst“-Gruppe nur bis zwei Tage nach einer Trainingseinheit gemessen wurden. Daher kann es gut sein, dass genügend Erholungszeit der Schlüssel zum Erfolg ist und die Trainingsreihenfolge in diesem Falle keine Rolle spielt. Ob das auch zutrifft wenn wesentlich größere Trainingsumfänge umgesetzt werden lässt sich anhand der aktuellen wissenschaftlichen Informationen nicht sagen. Würde man die Einheiten jedoch einzeln durchführen, käme man schon auf 4-6 Einheiten pro Woche und daher bietet sich ein ähnliches Programm auch für erfahrenere Fitnessenthusiasten an.

Um sicher zu gehen keinen Kompromiss hinsichtlich der Trainingsanpassungen einzugehen, sollte man das Krafttraining lieber an erste Stelle setzten. Diejenigen die jedoch mehr Abwechslung in Ihrem Programm wünschen, sollten zumindest im Hinterkopf behalten das Ausdauertraining zuerst durchgeführt längere Erholungszeiten mit sich bringt und man daher die Trainingsfrequenz und/oder den Umfang dementsprechend einschränken sollte.

Über Moritz Schumann

Moritz Schumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportbiologie der Universität Jyväskylä. Rufe hier alle Publikationen von Moritz auf.

Comments

  1. Also ich mache immer zuerst eine Cardioeinheit und dann Krafttraining. Gibt es dagegen irgendwas einzuwenden? Macht das andersrum mehr Sinn? Danke!

    • trainiert.com meint

      Wie im Artikel beschrieben, macht es mehr Sinn, das Krafttraining an erste Stelle setzten.

      Viel Erfolg weiterhin beim Training!

  2. Hallo.

    Aus eigener Erfahrung ist es relativ egal, wenn man sich nicht gerade im Leistungssportbereich aufhält. Der „Breitensportler“ mit seinen Intensitäten kann sich an alle Belastungsimpulse gewöhnen und anpassen.

    Beste Grüße, Torsten

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